*  Martin Nagel: Umwelt, Besiedlungs- und Kulturgeschichte  in Nordost-Niedersachsen während der Älteren Bronzezeit
 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Vorbemerkung

Inhalt

Einleitung

 

Problemstellung
Abgrenzung
Forschungsgeschichte
Forschungsstand
Quellenlage
Methodischer Ansatz

Naturräumliche Umwelt

Besiedlungs-
geschichte

Kulturhistorische Interpretation

Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

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[1] EINLEITUNG

 

 

 

 

 

[1.1] Problemstellung

Archäologische Daten,  per se Funde und Befunde, sind Zeugnisse menschlichen Lebens und Handelns in der Vergangenheit.

Daraus ergibt sich,  daß das übergeordnete Ziel archäologischer Forschung darin liegt, durch Analyse und Interpretation der zur Verfügung stehenden Informationen zu  historischen Aussagen zu gelangen.

In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Untersuchung als Beitrag zu einer Bestandsaufnahme  der bisher auf diesem Wege geleisteten Arbeit. Gleichzeitig wird angestrebt, auch Bereiche außerhalb des engeren fachlichen Rahmens zu erfassen, die  möglicherweise Aufschlüsse über die während der Älteren Bronzezeit herrschenden  Interdependenzen zwischen den damals im nordöstlichen Niedersachsen lebenden Menschen und ihrer natürlichen Umwelt geben.

Eines der wichtigsten  Teilprobleme ist dabei die Untersuchung zeitlicher und räumlicher Strukturen  und Prozesse, die sich in den menschlichen Hinterlassenschaften manifestiert haben. Erst aus der Synthese dieser Erkenntnisse heraus werden sich Aussagen über kulturelle Verhaltensweisen, über Einflüsse oder Abhängigkeiten.,  über Wechselwirkungen oder Eigenheiten im komplexen System der geschichtlichen  Entwicklung treffen lassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1.2] Abgrenzung

[1.2.1] Räumliche Abgrenzung

 

 

 

 

 

 

Nordost-Niedersachsen  ist kein vom geschichtlichen Sprachgebrauch her zu definierender Raum,  dafür liegen größere territoriale Veränderungen, die zur Bildung des heutigen  Bundeslandes Niedersachsen führten, noch zu sehr in der Gegenwart - 1937  Groß-Hamburg-Gesetz, 1946 Vereinigung der preußischen Provinz Hannover mit den Freistaaten Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg- Lippe (Stichwort Niedersachsen, in: WESTERMANN LEXIKON DER GEOGRAPHIE  1983, III, 539). Außerdem wäre zu bezweifeln, ob eine allein auf einer solcher Basis  beruhende Regionalisierung aus prähistorischer Sicht zu rechtfertigen  wäre.

Aus diesen Gründen sollen hier vorwiegend solche raturräumlichen Phänomene zur Eingrenzung  genutzt werden, die seit Beginn des Holozän als relativ stabil angesehen werden können. Gleichermaßen als morphologische und hydrologische Leitlinie bietet sich im Norden das Elbe- Urstromtal als natürliche Grenze an, welcher im Süden das Aller-Weser-Urstromtal als physisch-geographische Parallele entspricht. Eine räumliche Verknüpfung finden diese Abgrenzungen in der, von Wümme und Oste entwässerten, breiter Niederungszone im Westen. Nach  Osten hin fällt es schwer, eine ähnlich deutliche Linienführung aufzuzeigen, weil aus forschungsgeschichtlichen Gründen die Lüchower Niederung in das  Arbeitsgebiet einbezogen werden soll. Deshalb wird hier im nördlichen  Bereich eine vom Gliederungsprinzip abweichende Grenzziehung gewählt,  die dieser Vorgabe entspricht, und die nach Süden in den naturräumlich  vorgegebenen Verlauf der Ohre-Niederung einmündet (Karte 1).

Nach der modernen  Verwaltungsgliederung umfaßt das Arbeitsgebiet, z.T. mit randlichen Beschneidungen,  die Kreise Stade, Harburg, Lüneburg, Lüchow-Dannenberg, Bremervörde, Rotenburg/W.,  Soltau, Uelzen, Verden, Fallingbostel und Celle (alle Reg.Bez. Lüneburg), den Kreis Gifhorn (Reg.Bez. Braunschweig) und das Gebiet des Bezirksamtes  Hamburg-Harburg. Diese Angaben beziehen sich zur besseren Vergleichbarkeit  mit älteren Publikationen auf den Stand vor der Ende der siebziger Jahre in Niedersachsen durchgeführten Gebiets- und Verwaltungsreform.

 

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[Karte 1] Topographische Übersicht

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[1.2.2] Zeitliche Abgrenzung

 

 

 

 

 

 

Ohne schon an dieser Stelle auf Forschungsgeschichte und Forschungsstand eingehen zu wollen,  ist es doch notwendig, zur Festlegung des chronologischen Rahmens auf  einige wenige ältere Arbeiten zu verweisen.

Die in ihren Grundzügen  heute noch gültige zeitliche Periodengliederung des "Nordischen Kreises", vornehmlich in Dänemark und Südschweden, stammt von  O. MONTELIUS (1885; 1900). Die hier zu bearbeitende Ältere  Bronzezeit umfaßt nach diesem System in der Hauptsache die Perioden II  und III, wobei Periode II, wie auch die Periode I durch Untersuchungen von G. JACOB- FRIESEN (1967) und E. LOMBORG (1968; 1973) inhaltlich modifiziert wurden  In Süddeutschland ist das von P. REINECKE (1924)  und in seiner Nachfolge von F. HOLSTE (1939; 1953) entwickelte Konzept als vergleichbare, aber noch nicht zu parallelisierende Grundlage der chronologischen Bestimmung  und Einordnung vorhanden. In dieser Gliederung umfaßt die Ältere Bronzezeit  die Stufen BZ B - D.

Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß keines dieser beiden großen Zeitgerüste als chronologische Leitlinien für das Arbeitsgebiet unmittelbare Gültigkeit besitzen,und  daß damit ein so abgesteckter relativ-chronologischer Rahmen nur eine sehr grobe Richtschnur sein kann. Unter dieser Einschränkung ist auch  der absolute Datierungsansatz für einen Zeitraum ca. zwischen 1600 und  1100 v.Chr. zu sehen.

Wenn man sich darüber  hinaus klar ist, daß eine noch so festgefügt scheinende Perioden- oder  Stufengliederung nichts anderes als ein modernes Hilfsmittel zur schematischen zeitlichen Kategorisierung von historischen Prozessen darstellt, scheint  es sinnvoll zu sein, zusätzliche, erweiternde Kriterien explizit einzubeziehen.

Die Bronzezeit wird, wie der Name sagt, vom vorausgehenden Neolithikum durch das Auftreten  dieses Metalls im archäologischen Fundgut gekennzeichnet. Die weitere  Untergliederung folgt unterschiedlichen Regeln: Die Trennung zwischen Frühbronzezeit und Älterer Bronzezeit wird zum einen aus der nunnmehr nahezu flächendeckenden Verbreitung dieses  Werkstoffes in Mitteleuropa, andererseits aus der, dem Material auch technisch  gerecht werdenden, zunehmenden Formenvielfalt erschlossen. Weiterhin ist  mit der Älteren Bronzezeit in vielen Gebieten die Anlage von Hügelgräbern,  - im Gegensatz zu Flachgräbern -, und die Sitte, den darin bestatteten  Toten Beigaben aus Bronze mitzugeben, verbunden.

Die Abgrenzung zur Jüngeren Bronzezeit bildet eine signifikante überregionale  Veränderung der Bestattungsweise, der Übergang von der Körperbestattung  zur Urnenbrandbestattung.

Obwohl die Gültigkeit  dieser Definitionserweiterungen im Arbeitsgebiet nicht a priori vorausgesetzt werden kann und im Abschnitt 1.5. (Quellenlage) der Verifizierung bedarf, soll im Hinblick auf die Materialaufnahme vom Ansatz der mit Bronzebeigaben versehenen, in Hügelgräbern gefundenen Bestattungen, die nicht Urnenbrandbestattungen sind, ausgegangen werden.

 

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[1.3] Forschungsgeschichte

 

 

 

 

 

 

Erste Nachrichten  über älterbronzezeitliche Funde stammen von Grabungen eines Probst Zimmermann um 1772 (LAUX 1971, 250) bei Halligdorf, Lkr. Uelzen.

Von den in den nächsten  einhundertzwanzig Jahren stattgefundenen Ausgrabungen durch Einzelpersonen und Altertumsvereine, deren Funde meist in Privatsammlungen wanderten, nehmen die Untersuchungen und die daraus erwachsene Veröffentlichung des Freiherrn G. O. Carl v. ESTORFF (1846) für die "Gegend von Uelzen" einen besonderen Rang ein. Neben seiner beachtenswerten  Fundkarte und den Fundabbildungen belegt dies folgende Feststellung, die  sich im Informationsgehalt seiner Fundbeschreibungen niederschlägt:

Wenn gleich man mit Gewissheit behaupten darf, daß steinerne und beinerne Gegenstände schon vor dem Getrauch von gläsernen,  bronzenen, eisernen, goldenen und silbernen existiren [sic], so beweis´t wiederum das Vorkommen von steinernen und beinernen Anticaglien in einem und demselben Grabe, welches zugleich Sachen aus anderen Materialien enthielt, eine Gleichzeitigkeit, nämlich ein Hinübergreifen der Zeit-Abschnitte,  in welche der Gebrauch von Sachen dieses oder jenes Materials, dieses  oder jenes Metalls vorzugsweise fällt.
(
v. ESTORFF 1846, V-VI)

Abgesehen davon, daß das Bestreben, die aufgefundenen Gegenstände in geeigneter Form zu gliedern,  als durchaus zeitgemäß zu werten ist, Christian Jürgensen THOMSEN hatte sein "Dreiperiodensystem" 1836 publiziert, geht die Erkenntnis und Definition der Gleichzeitigkeit aller Objekte in einem "Geschlossenen Fund" und der  sich daraus ergebenden Bedeutung für die chronologische Aussage weit darüber  hinaus. Erst rund vierzig Jahre später erscheint das den Begriff "Geschlossener  Fund" bis heute prägende und festlegende Werk von Oscar MONTELIUS (1885). (Zu v.ESTORFF s.a.: BATH 1959)

Das Einsetzen einer  mehr wissenschaftlich orientierten Ausgrabungs- und Forschungstätikeit  im Gegensatz zum reinen Sammlertum ist trotz der Kritik HACHMANNs, der  auch noch vor wenigen Jahren eine "anachronistisch altertumskundlich  ausgerichtete Forschungsweise" fortbestehen sieht (HACHMANN, Stw. Bronzezeit, 1978, 508), um 1900 anzusetzen, was sich auch in dem deutlichen Anstieg der pro Jahrzehnt bekanntgewordenen geschlossenen Funde in Tabelle  1 dokumentiert.

[Tab. 1] Forschungsgeschichtliche Entwicklung der Quellenlage

Jahrzehnt

geschl. Funde

evtl. geschl. F.

mehrfach vermerkte Ausgräber- und Findernamen

1980-1984

-

-

 

1970-1979

3

-

Voss, Helms-Museum

1960-1969

16

4

Köster, Voss, Schirnig, Deichmüller, Schünemann

1950-1959

15

-

Wegewitz, Deichmüller, Piesker

1940-1949

17

3

Wegewitz, Körner, Piesker

1930-1939

71

5

Wegewitz, Cassau, Krüger, Piesker

1920-1929

3

1

Wegewitz, Köhler

1910-1919

7

4

Lienau, Bünte, Lange

1900-1909

10

4

Lienau, Gützlaff, Römstedt

1890-1899

7

4

Pastor Wittkopf, Tewes, Meyer, Lange

1880-1889

1

6

Pastor Wittkopf, Weigel

1870-1879

2

4

Bracht

1860-1869

3

2

Enkhausen, Pflug

1850-1859

2

6

Vogell, Hahn, Kemble, Grahn

1840-1849

4

1

v. Estorff

1830-1839

1

4

v. Estorff

1800-1809

-

1

Rüdemann

1770-1779

-

2

Probst Zimmermann

(Aufgeführt wurden allein diejenigen Fundbeobachtungen, zu denen Namens- und Jahresangaben  bekannt sind. Nicht einbezogen sind u.a. 33 bzw. 4 Funde aus Piesker-Grabungen ohne Jahresvermerk. Die Reihenfolge der namentlichen Nennung erfolgt grob von Nord nach Süd)

 

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[1.4] Forschungsstand

 

 

 

 

 

 

Unter diesem Punkt sind drei inhaltlich unterschiedliche Publikationstypen zusammenzufassen:  Quelleneditionen, formenkundliche Untersuchungen und historisch orientierte  Arbeiten, die jeweils für sich einen Teil des archäologischen Forschungsstandes  repräsentieren.

 

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[1.4.1] Quelleneditionen

 

 

 

 

 

 

Der von der wissenschaftlichen Institutionalisierung des Fachs, 1929 wurde das "Vorgeschichtliche  Seminar" in Marburg gegründet, ausgehende systematisierende Einfluß wird besonders in der Qualitätsverbesserung der Grabungsberichte und anderer Materialvorlagen ersichtlich, wobei aber einschränkend bemerkt  werden muß, daß im Arbeitsgebiet dieser Einfluß zunächst nur punktuell  und durch bekannte Namen wie REINECKE, WEGEWITZ und KERSTEN repräsentiert  wird.

Die monographische Bearbeitung der im Harburger und Stader Raum in den zwanziger bis vierziger  Jahren erzielten Grabungsergebnisse durch WEGEWITZ (1949)  ist besonders hervorzuheben, aber auch kleinere Berichte, z.B. von KRÜGER  (1935a; 1935b) sollen entsprechend gewürdigt  sein. Im Süden des Arbeitsraumes führte PIESKER von 1935-1944 eine große  Anzahl von Ausgrabungen durch, da durch die Erweiterung der auch heute noch bestehenden Truppenübungsplätze Bergen-Hohne und Munster die obertägig erkennbaren Bodendenkmäler in ihrem Bestand gefährdet waren. Die zugehörigen Publikationen erschienen erst sehr viel später (1954; 1958), leider unter völliger Auslassung  nachvollziehbarer Befundangaben.

Diese Lücken konnten durch LAUX (1971) zum Teil geschlossen werden, wobei dieser Arbeit das Verdienst zukommt, für den Großteil des hier betrachteten Raumes alle bis zum Stand von 1964  gemachten und erhaltenen Funde zusammengestellt zu haben, bzw. teilweise (Privatsammlungen) erstmals zu veröffentlichen. Für die dort nicht behandelten  angrenzenden Gebiete geben SCHÜNEMANN für den Kreis Verden (1982)  und VOELKEL für den Kreis Lüchow-Dannenberg (1959; 1970) jeweils einen zusammenfassenden  Überblick.

Die weitere Forschungstätigkeit  dokumentiert sich fast ausschließlich in mehr oder weniger umfangreichen  Aufsätzen, die in Zeitschriften mit örtlicher (z.B.: Harburger Jahrbuch,  Lüneburger Blätter), regionaler (z.B.: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Die Kunde) oder überregionaler Bedeutung (z.B. Germania, Prähistorische Zeitschrift) erschienen sind. Das gilt u.a. für die von  VOSS durchgeführten Untersuchungen (1963a; 1963b; 1964; 1965; 1968; 1974), deren Publikation durch seinen plötzlichen Tod größtenteils auf dem Stand von Vor- oder Zwischenberichten  blieb und die bisher keine vervollständigende Bearbeitung erfahren haben.

Eine Ausnahme von  dieser Regel bilden die Ausgrabungen im Bereich des Elbe-Seiten-Kanals  nahe Uelzen (PETERS 1969; SCHIRNIG / PETERS 1970; SCHIRNIG/HEINEMANN 1970; SCHIRNIG 1970, 1971, 1972), auch aufgrund der intensiven  archäologisch-bodenkundlichen Zusammenarbeit (SCHIRNIG/HEINEMANN 1970, HEINEMANN 1971).

Leider klafft für  die letzten Jahre eine größere Publikationslücke, die weder die von PETERS  edierte "Dokumentation zur Archäologie Niedersachsens"  (1975), noch die Herausgabe von älteren Funden durch LAUX (1973b ; 1979) zu füllen vermag. Erst während der Anfertigung vorliegender Arbeit wurde die Neuveröffentlichung von  Quellen weiter fortgesetzt (LAUX 1984b).

 

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[1.4.2] Formenkundliche Untersuchungen

 

 

 

 

 

 

Unter dieser Überschrift sollen die Arbeiten vorgestellt werden, deren vornehmliches Kennzeichen  und Ziel die eingehende formale und stilistische Analyse von z.T. explizit ausgegrenzten Materialgruppen, bzw. ein sich darauf aufbauender Vergleich  ist. ZIEGERT bezeichnet sie als "objektorientierte Forschungsansätze"  (1980, 58) und bemerkt dazu weiter:

Eine solcher Art betriebene Arbeitsteilung innerhalb des Forschungsprozesses läßt hier mit Sicherheit den historischen Aspekt verdeckt vor Spezial-Ergebnissen, die später selbstverständlich für historische  Arbeiten herangezogen werden könnten, meist jedoch tote Information darstellen, die lange Zeit ungenutzt bleiben und dann bei neuem Quellenstand und weiterentwickelten  Methoden nicht mehr ohne erneute Überarbeitung brauchbar sind.
(
ZIEGERT, a.a.O.).

Auf diese Forschungsgattung  bezieht sich auch die eigentliche Kritik HACHMANNs (1978,  508), die schon oben zitiert wurde (s. Abschn. 1.3). Wichtig bleibt aber, welche historischen Erkenntnisse in Hinblick auf die Problemstellung diesen Untersuchungen entnommen und verwendbar gemacht werden können.

Schon Sophus MÜLLER  (1878, 47) hatte erkannt, daß sich im Gebiet um Lüneburg ein eigenständiger "Formenkreis"  anhand der dort gefundenen Fibelformen und bestimmter Verzierungsmuster  an Ringen abzeichnete (nach: G. JACOB- FRIESEN 1973, 572/573). SPROCKHOFF (1937; 1941)  bezeichnet ihn als "Kulturprovinz an der Ilmenau", während TACKENBERG (1949) genauer von "Formenkreis"  spricht. In der Folge finden sich die Bezeichnungen "Lüneburger Bronzezeit" (PIESKER 1958), wie auch "Kulturkreis  des Lüneburger Raums" (KLAMM 1984), wobei letztere Benennung den  typologischen Charakter dieser Klassifikation völlig verkennt.

Die erste, gesonderte  Beachtung findende Materialgruppe waren Schmuckscheiben (KRÜGER 1925). Kurze Zeit danach erschienen die Arbeiten SPROCKHOFFs zu verschiedenen Schwertformen (1927; 1931), denen eine Untersuchung zur "Entstehung der altbbronzezeitlichen  Halskragen" nachfolgte (1939). TACKENBERG (1932)  und später G. JACOB FRIESEN (1967, vgl. Abschn. 1.2.2) legten Bearbeitungen zur Typologie der Lanzenspitzen vor, PIESKER edierte 1938 bestimmte Fibelformen und 1964 einzelne Absatzbeiltypen. In jüngster Zeit wurden durch LAUX Fibeln (1973a) und Nadeln aus Niedersachsen (1976) in ihrem Formenschatz zusammengefaßt und in der Publikationsreihe der "Prähistorischen Bronzefunde"  veröffentlicht.

Diese beiden letzteren Werke sind, mit Ausnahme der Funde der Jüngeren Bronzezeit, aus der bereits  erwähnten Dissertation von LAUX (1971) erwachsen, die hier noch etwas näher zu betrachten ist.

LAUX setzt sich nach erfolgter Materialaufnahme und der durch die gründliche Erfassung von  Museums- und Sammlungsbeständen möglich scheinenden Rekonstruktion von Geschlossenen Funden (Vermehrung von ca. 30% gegenüber dem Altbestand),  auf die weiter unten noch eingegangen werden soll (Abschn. 3.2.2), folgende Ziele:

Damit ist es möglich geworden, den Fundstoff formenkundlich  besser zu ordnen und chronologisch zu gliedern, so daß schließlich kulturgeschichtliche Ergebnisse - Tracht und Bewaffnung, Grabbräuche - vorgelegt werden können.
(
LAUX 1971, 31)

Diese starke Betonung  des formenkundlichen Ansatzes und die Tatsache, daß der Klassifikation  von einzelnen Typen und Varianten im Vorfeld der chronologischen Betrachtung,  allein vom Umfang der Arbeit her gesehen (reiner Textteil: 158 Seiten),  knapp 40% der Untersuchung gewidmet sind (63 Seiten), während z.B. der  Abschnitt "Bestattungsarten" nur knapp 2% (3 Seiten)  einnimmt, läßt die Objektorientierung offensichtlich werden.

Daraus ergibt sich zusätzlich die Frage, ob die aus dieser Sicht entwickelten "kulturhistorischen Ergebnisse" wirklich tragfähig sind und eine verwertbare Zustandsbeschreibung  darstellen, und ob sie durch andere, problemorientierte Forschung (vgl. ZIEGERT 1980, 60) verifiziert oder falsifiziert  werden können.

 

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[1.4.3] Historisch orientierte Arbeiten

 

 

 

 

 

 

Hierunter werden Untersuchungen  verstanden, die mittels eines methoden- bzw. fachübergreifenden Forschungsansatzes  den Versuch unternehmen, multifaktoriell auf das Problem der Erfassung  menschlicher Geschichte und Kultur einzugehen.

Der Untertitel: "Neue Methoden zur ethnischen und historischen Interpretation urgeschichtlicher  Quellen" einer Arbeit BERGMANNs zur "Älteren Bronzezeit Nordwestdeutschlands" (1970) erweckt den Eindruck, diesem Anspruch gerecht zu werden, er will "über eine formen- und -typenmäßige Bearbeitung des Stoffes hinaus" (a.a.O.  Teil A, 20). Die eingehende Durchsicht erweist aber, daß diese begrüßenswerte Absicht, die Bandbreite der Aufgabenstellung auch in der Bronzezeitforschung  zu erweitern, in ihrer Realisierung unklar bleibt und zur Kritik herausfordert. Einerseits werden Probleme nur angerissen, wenn der Autor z.B. auf eine  eigenständig aus dem Material erarbeitete Chronologie verzichtet (Teil  A, 15), andererseits wird die im archäologischen Quellenmaterial gespeicherte Informationsmenge ethnisch überinterpretiert, wenn auf der Basis regional begrenzbarer "Formenkreise" zunächst "Bewaffnungs- und Kampfesartgemeinschaften" (Teil A, 44) herausgefiltert werden, die sodann zur "Deutung von Stämmen" (a.a.O.) führen.

Aus anderen Gründen  ist die archäologisch-ökologisch orientierte Dissertation MÜLLER-PERBANDs in der 1977 vorgelegten Form wenig geeignet, zur Lösung der Fragestellung  beizutragen, da in ihr, trotz der Hoffnung weckenden Überschrift, auf  die Behandlung der Älteren Bronzezeit völlig verzichtet wird. Begründet wird dies damit, daß in keinem der kleinräumigen Untersuchungsgebiete  Fundplätze in diese Zeitperiode datiert werden konnten (MÜLLER- PERBAND 1977, 69), wobei Fundplatz gleich Siedlungsplatz gesetzt  wird (a.a.O., 66), und nur diese als "exakt"(a.a.O.,  64) genug angesehen werden, um für eine "Besiedlungsgeschichte"  verwertbar zu sein (a.a.O., 63).

Der Forschungsstand  weist damit für diesen Bereich wissenschaftlicher Bearbeitung eine deutliche  Forschungslücke auf, nur wenige Materialpublikationen (z.B.: VOSS 1965; SCHIRNIG/HEINEMANN 1970; SCHÖN  1981) versuchen  implizit dieser Situation gerecht zu werden, indem die reinen archäologischen Funde und Befunde durch interdisziplinäre Zusatzinformationen erweitert  werden.

 

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[1.5] Quellenlage

 

 

 

 

 

 

Aufgenommen wurden insgesamt 347 Fundkomplexe, d.h. Funde mit mindestens zwei Objekten, zwischen denen ein äußerer oder innerer Zusammenhang sowohl in der zeitlichen als auch in der räumlicher Ebene (Befund!) möglicherweise gegeben schien.  Es handelt sich dabei um 331 Grabfunde und 16 Hortfunde von 185 verschiedenen Fundorten; Siedlungsfunde sind nicht bekannt (vgl. Karte 2).

Die als Hilfestellung  formulierte Charakterisierung der Älteren Bronzezeit als Beziehung zwischen Bronzefunden und Grabhügelbestattungen (s.o.) trifft für das Arbeitsgebiet in der Regel zu.

Die große Zahl der bekannt gewordenen Einzelfunde, LAUX allein gibt 1.438 an (1971 passim), wird ebensowenig berücksichtigt,  wie Hügelgräber ohne Beigaben oder eindeutig gestörte Inventare.

 

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[Karte 2] Fundorte

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Zum räumlichen Aspekt  ist zu sagen, daß große Ungleichgewichte in der Quellenlage erkenntlich sind, so weist der Kreis Gifhorn keinen einzigen und der sich nördlich anschließende Kreis Lüchow-Dannenberg nur sehr wenige Funde auf, die obiger  Definition entsprechen, während z.B. allein die von PIESKER (1954, 1958, passim) untersuchten Gräberareale  in den Kreisen Soltau, Fallingbostel und Celle mit zusammen über 90 Funden  repräsentiert sind.

Aufmessungen von Grabhügelgruppen  liegen nur im Falle von Wittenwater, Kr. Uelzen vor (Nr. 112, VOSS 1965, 344, Abb. 1), leider ist nur ein Hügel sicher der Älteren  Bronzezeit zuzuweisen (s.o. u. Abschn. 1.2.2). Für "PIESKER- Grabungen"  (a.a.O.) konnte anhand topographischer Fundplatzaufnahmen des Museums Bergen im Maßstab 1:25.000, die dankenswerterweise von Herrn Prof. Dr.  Ziegert in Kopien zur Verfügung gestellt wurden, exemplarisch überprüft werden, ob es sich bei den publizierten Daten um vollständige Grabgruppenuntersuchungen handelt. Das Ergebnis ist, daß die identifizierten Hügelgruppen Wardböhmen-Hengstberg (Nr. 159), -Worbsloh (Nr. 161) und -Schafstallberg (Nr. 162) anscheinend  auch noch nicht gegrabene Hügel enthalten, so daß von dieser Prämisse  nicht ausgegangen werden sollte.

 

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[1.6] Methodischer Ansatz

 

 

 

 

 

 

In Abschnitt 1.1. wurden bereits verschiedene Teilprobleme angesprochen, die sich aus der historischen Fragestellung heraus entwickeln und denen sich diese Arbeit widmen will. Die jetzige Kenntnis des archäologischen Forschungsstandes und der Quellenlage ermöglicht es, die weitere Art und Weise des Vorgehens  zu präzisieren.

Im ersten Abschnitt  soll versucht werden, ein möglichst umfassendes Bild der Umweltbedingungen  aufzuzeigen, mit denen die Menschen, deren Sachüberreste uns als archäologische  Quellen dienen, konfrontiert waren. Dabei muß betont werden, daß sich  das Hauptaugenmerk auf die sog. natürliche Umwelt richtet, d.h. die physiographische  und biotische Umwelt, in der Anpassungsmechanismen die Existenz von Einzelpersonen  und Populationen bestimmen, soweit sie nicht durch aktive anthropogene Veränderungen außer Kraft gesetzt sind. Es gilt daher, dieses komplexe System in einzelne Faktoren aufzugliedern, wobei zu unterscheiden ist  zwischen solchen, die bis in jüngste und damit nachvollziehbare, Zeit von menschlichen Eingriffen weitgehenst verschont blieben (z.B.: Orographie,  Hydrographie und Klima) und anderen, bei denen das Ausmaß heutiger Nutzung  den Schluß erlaubt, daß dort Um- und Überformungsprozesse stattgefunden  haben (z.B.: Boden, Vegetation und Fauna). In letzteren Fällen sind Informationen  zum Stand während des betrachteten Zeitraumes (s. Abschn. 1.2.2) nur über den Umweg multifaktorieller Rekonstruktionen  zu erzielen, was definitive Aussagen über anthropogene Einflüsse zur damaligen  Zeit zusätzlich erschwert.

Da zur Bearbeitung der Besiedlungsproblematik auf Siedlungsfunde nach dem Stand der Quellenlage verzichtet werden muß, wird auf Grabfunde in ihrer Eigenschaft als "primäre  Siedlungsindikatoren" (JANKUHN 1952, 25) zurückgegriffen. Ihre Analyse, die Verwertung der in ihnen enthaltenen und der mit ihnen verbundenen  Datenmengen, ist abhängig von der Klassifikation als "Geschlossene Funde" nach MONTELIUS (1903, 3), wobei besonders die von LAUX vertretene Rekonstruktion solcher Funde (1971, passim) zur Diskussion gestellt  wird. Das weitere chronologische Verfahren orientiert sich an dem durch ZIEGERT aufgeschlüsselten Arbeitsgang zur Kombinationsstatistik (1983, 39/40). Aus der damit erreichten zeitlichen Gliederung des Materials sollen Erkenntnisse über Umfang und  räumliche Bezüge der Besiedlungstätigkeit abgeleitet werden. Einschränkend  ist zu sagen, daß die Quellenlage exemplarische Einzeluntersuchungen an  Grabhügelfeldern, z.B. zur Sozialstruktur, nicht zuläßt.

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage nach der kulturgeschichtlichen Stellung und Entwicklung dieses geographischen Raumes. Insbesondere ist zu klären,  ob und wieweit Umweltinformationen und archäologische Erkenntnisse zu synthetisieren sind, und ob sich mit ihrer Hilfe regelhaft auftretende  Normen verschiedener Qualität, seien es z.B. Beigabenkombinationen, Grabformen,  Bestattungsorientierungen oder naturräumliche Lagekriterien des Bestattungsplatzes, als miteinander verknüpfte, zeitlich und räumlich nicht voneinander zu trennende Merkmale von Kulturgefügen identifizieren lassen. Erst unter  letzterer Voraussetzung werden sich in der Tat kulturhistorische Aussagen treffen lassen, die über formenkundliche Vergleiche hinausgehen und die  gerade für das Verhältnis zwischen Älterer Bronzezeit und Endneolithikum einerseits und Jüngerer Bronzezeit andererseits wegen ihrer Unabhängigkeit von periodisierenden Abgrenzungen von Bedeutung sind.

 

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© 1985/1999 Martin Nagel M.A.